Projektentwicklung Teil 1
- Violetta Dyka
- 20. Mai 2023
- 5 Min. Lesezeit
1.Zusammenfassung
Am frühen Morgen des 24. Februar 2022 wurden Millionen von Menschen in der Ukraine durch Explosionen geweckt. Russland hat die Ukraine angegriffen. Wieder einmal. Und der größte Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg brach aus. Unter Lebensgefahr waren über 14 500 000 Ukrainer gezwungen, das Land zu verlassen und im Ausland Zuflucht zu suchen. Die meisten von ihnen sind Kinder, Frauen und ältere Menschen. Etwa 70 000 ukrainische Flüchtlinge sind heute in der Schweiz registriert.
In meinem Projekt geht es um die Verbesserung der Wohnsituation - mit dem Schwerpunkt auf dem Zusammenleben - und um entsprechende Möglichkeiten, die Lebensqualität zu verbessern und „bessere Bedingungen“ für ukrainische Flüchtlinge im Ausland zu schaffen. Mein Ziel für das 1. Semester war es, meine Rolle als Designer innerhalb der gegebenen Herausforderung zu erforschen sowie zu analysieren, wie die aktuellen Bedingungen sind und wie sie von den Betroffenen wahrgenommen werden.
2. Hintergrund des Projekts
2.1. Persönliche Motivation für das Problem
Am 24. Februar wachte ich, wie die anderen 44 Millionen Ukrainer, um 5 Uhr morgens durch ein lautes Geräusch auf. Zuerst kann man einfach nicht glauben, dass einem das alles passiert. Dann akzeptiert man die Situation und beginnt zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Dieses Projekt ist eine Beschreibung und Untersuchung meiner aktuellen Situation und der vieler anderer Ukrainer. Manchmal ist es überwältigend, sich mit dem Thema Krieg/Flucht zu beschäftigen, wenn man selbst in dieser Situation ist. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich keine andere Wahl hatte, weil es für mich unmöglich ist, über etwas anderes nachzudenken.
2.2. Hintergrundinformationen / Fakten
Die militärische Situation in der Ukraine sieht ein Verbot für Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren vor, ins Ausland zu reisen. Daher sind 87% aller Flüchtlinge im Ausland Frauen und Kinder, 26% sind Frauen zwischen 18 und 34 Jahren.
In der Schweiz können ukrainische Flüchtlinge in den folgenden Unterkünften wohnen:
Bundesasylzentrum (BAZ) - im Wesentlichen Flüchtlingslager;
Kantonale Unterkünfte - Wohngemeinschaften, Hotels, Hostels, Schlafsäle; private Unterkünfte - Gastfamilien.
Etwa 60 % - oder 40.000 - aller registrierten ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz sind privat untergebracht. Dennoch müssen viele Menschen monatelang in Lagern leben, wo sie nur eine Pritsche und einen Stuhl haben und keinen privaten Raum.
3. Entwurfsproblem
Meine Recherchen in Verbindung mit meinen persönlichen Erfahrungen haben mich zu der Erkenntnis geführt, dass mein Designproblem ein „wicked problem“ ist. Es besteht aus einer Kombination von verschiedenen Herausforderungen, die ich im Folgenden beschreibe:
“How can you complain about anything if you live on Swiss taxes.”
Interview from Der Bund
Das obige Zitat beschreibt verschiedene Aspekte des Lebens von Flüchtlingen, aber es ist auch für die Wohnungsfrage relevant. Die Situation ist einzigartig: Einheimische lassen ukrainische Flüchtlinge in ihren Häusern wohnen. Da sich der Krieg wahrscheinlich in die Länge ziehen wird, bedeutet dies, dass die Flüchtlinge für längere Zeit im Ausland bleiben müssen. Die besonderen Umstände der ukrainischen Flüchtlinge können auch zu der Meinung verleiten, dass ukrainische Flüchtlinge anspruchsvoller sind und daher mehr Dankbarkeit von ihnen erwarten. Außerdem ist es sehr schwierig, mit der Abhängigkeit vom Geld des Staates oder von Privatpersonen umzugehen.
Ich habe Interviews mit zwei ukrainischen Mädchen geführt und mehrere informelle Gespräche mit mehr als 10 Personen geführt. Dabei wurde mir klar, dass sich junge Frauen bei der Bewältigung von Problemen im Ausland schwach und gestresst fühlen.
Ich habe meine Interviewpartnerinnen nach persönlichen Gegenständen gefragt, die sie aus der Ukraine mitgebracht haben. Ausgehend von ihren Antworten gehe ich davon aus, dass Gegenstände mit einem emotionalen Hintergrund eine sehr wichtige Rolle spielen, auch wenn sie keine Funktion haben. Ich vermute, dass sie für die Schaffung eines angenehmen Umfelds als relevant angesehen werden können.
Eine weitere interessante Erkenntnis war, dass meine beiden Interviewpartner die Qualität ihres Zimmers auf sehr unterschiedliche Weise beschrieben und wahrzunehmen schienen. Während die eine die positiven Aspekte ihres Zimmers hervorhebt und es so gut wie möglich einrichtet, scheint es der zweiten Person sehr schwer zu fallen, es für sich selbst ein wenig gemütlicher zu gestalten.
Die Kombination verschiedener Aspekte (Umgang mit Traumata, instabile psychische Verhältnisse, finanzielle Abhängigkeit, Mangel an privatem Raum) führt dazu, dass die Wohnsituation von Flüchtlingen (und Einheimischen) in vielen Fällen nicht zufriedenstellend zu ihrem Wohlbefinden beiträgt und es den Menschen oft nicht ermöglicht, sich entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse für ihre Wohnsituation zu engagieren. Meine Recherchen haben mir gezeigt, dass es Ansätze zur Verbesserung der Wohnsituation in der Schweiz gibt. Ich konnte jedoch noch keine Lösung oder kein Konzept finden, das von oder mit der Beteiligung von tatsächlich betroffenen ukrainischen Menschen entwickelt wurde und sie mittels partizipativer Methoden in den Gestaltungsprozess einbezieht. Mich interessieren die tatsächlichen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der Flüchtlinge und Möglichkeiten, gemeinsam Zukunftsszenarien für das räumliche Zusammenleben zu entwickeln.
4. Rahmen des Projekts
4.1. Reflexion der eigenen Rolle
Beim Vergleich von Antworten aus Zeitungsinterviews mit Antworten, die ich in meinen Gesprächen mit Menschen aus der Ukraine erhalte, ist mir aufgefallen, dass im ersten Fall die Aussagen viel weicher und weniger persönlich formuliert sind. Hier liegt aus meiner Sicht ein großes Potenzial für mein Projekt. Es fällt anderen ukrainischen Frauen in der Schweiz leicht, sich mir gegenüber zu öffnen, weil wir die gleiche Erfahrung der erzwungenen Migration, der damit verbundenen Angst und des Leids teilen. Das gibt mir die Möglichkeit, zu Einsichten zu gelangen, die vielleicht nicht erwähnt werden.
Da ich einen Hintergrund in Innenarchitektur und Design habe, interessiert mich der Zusammenhang zwischen dem Raum, in dem Flüchtlinge leben, und den Auswirkungen auf ihr emotionales Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit.
4.2. Zielgruppe
Mein Projekt zielt darauf ab, jungen Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren zu helfen. Es gibt einige Aspekte, die sie gemeinsam haben: Sie gehören zur Generation Z, sind arbeitslos oder studieren, sind volljährig, leben nicht bei ihren Eltern und haben höchstwahrscheinlich noch keine eigene Familie gegründet. Sie sind aktiv, aufgeschlossen und voller Energie, um sich in einem anderen Land anzupassen, eine Ausbildung zu beginnen oder einfach das Leben zu erkunden.
4.3. Methoden
Im ersten Semester habe ich verschiedene Methoden getestet, um sie zu erforschen - ich habe Interviews geführt, eine Reihe von informellen Gesprächen geführt, mit einer Literaturrecherche und Online-Recherche begonnen und ein System-Mapping erstellt.
Basierend auf meinen Erkenntnissen halte ich die Kombination der folgenden Methoden für die weitere Entwicklung meines Projekts und mögliche Designlösungen für interessant:
Literaturrecherche / System-Mapping
Mindmapping / Kartierung
Interview / Fokusgruppeninterview / informelle Gespräche / Umfrage
Journey Mapping / Kultur-Sonden
Prototyping / Workshop / Testen
Mein übergeordnetes Ziel ist es, mit Methoden zu arbeiten, die es mir ermöglichen, die Betroffenen aktiv in das Geschehen einzubeziehen und zu beteiligen, so dass sie definieren können, was „bessere Bedingungen“ für sie bedeuten.
Grundsätzlich soll das endgültige Konzept auf den Erkenntnissen und Ergebnissen aus dem Prototyping und den Workshops basieren. Das Ergebnis könnte etwas sein, das die Menschen die Situation besser verstehen lässt - Kommunikationsmittel, eine Ausstellung, usw.
5. Nächste Schritte
Aufgrund persönlicher Umstände mache ich im Frühjahrssemester eine Studienpause. Da der Krieg wahrscheinlich nicht in naher Zukunft vorbei sein wird, wird mein Thema nicht an Aktualität verlieren. Im Hinblick auf mein Projekt werde ich mit Menschen in der Ukraine sprechen, um eine andere Perspektive zu erhalten, aber auch um Geschichten von Menschen zu hören, die als Flüchtling in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind.